Ist es ein Zufall, dass unsere Pfarrkirche mit dem trotzigen alten Wehrturm so zentral alle anderen Häuser überragt? Sicher nicht. Denn unser Gotteshaus, dem Heiligen Aegidius geweiht, war von jeher Mittelpunkt des Ortes, und dies nicht nur in geographischem Sinn. Denn so, wie unsere Kirche mit ihren wuchtigen Sandsteinmauern auf dem felsigen Kirchenküppel "fest erbauet" steht, so tief verwurzelt und bodenständig ist auch der christliche Glaube in unserer Heimatgemeinde. Waren es doch die Mönche des heiligen Bonifatius, des heiligen Sturmius und des heiligen Rabanus, die die Glaubensbotschaft Christi in die alte Chattensiedlung am "Marcbach" (Grenzbach) brachten.
Begonnen hat das wohl mit einer Mönchszelle im Haunetal, östlich von Marbach, wo sich heute der Haune-Stausee malerisch im Bachlauf der Haune ausbreitet. Noch heute heißt der Osthang hinter dem Friedhof "die Zell". Urkundlich wurde der Ort Marbach zum ersten Male im Jahre 1228 erwähnt. Abt Konrad III. übergibt dem Kollegiatsstift Hünfeld seine Güter zu Marbach. Später, etwa im 14. Jahrhundert berichten die alten Chroniken von Klostergütern in Marbach. (Frühere Nennungen Marbachs aus dem Jahre 747 und 1093 beziehen sich lt. Staatsarchiv Marburg nicht auf den Ort Marbach, sondern auf den Bachlauf als Grenzfluss.) Im Laufe der Jahrhunderte wechselte das Dorf, das im Wesentlichen aus Eigengütern von Lehnsherren bestand, mehrfach den "Besitzer".
Unsere Vorfahren hatten es nicht leicht. Sie mussten sich der Raubzüge wüster Raubritter aus der Rhön erwehren, wurden immer wieder von den Scharmützeln der zerstrittenen Lehnsherren getroffen, der Wehrturm hatte tatsächlich eine lebenswichtige Bedeutung. Die Bauernkriege und der Dreißigjährige Krieg, sie hatten verheerende Wirkung auf das Fuldaer Land und auch auf unseren kleinen Ort. Ein übriges tat die Pest, die um das Jahr 1633 einmal fast alle Bewohner hinwegraffte.
Auch die kleine Kirche in Marbach blieb von Verwüstungen nicht verschont. Die alten Kirchenbücher berichten von der Zerstörung der Kirche im Jahre 1676, etwa zwanzig Jahre später wurde sie durch den Fürstabt Placidus von Droste wieder neu erbaut. Zu diesem Zeitpunkt gehörte Marbach zur Pfarrei Michelsrombach, und zwar wegen des großen Priestermangels. Eine alte Bezeichnung in der Gemarkung westlich unserer schönen Mariengrotte heißt "Pfaffenpfad", diesen Pfad beschritt der Priester auf seinem Weg von und nach Marbach.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts, im Jahre 1737, wurde die Pfarrei Marbach wieder neu gegründet. Aus dieser Zeit stammt auch das Pfarrhaus. Zur Pfarrei gehörten ab diesem Zeitpunkt die Dörfer Bernhards, Dammersbach, Dietershan und Rückers. Dietershan kam dann 1754 zur neu gegründeten Dompfarrei nach Fulda.
Auch die Herrschaft des Erbprinzen Friedrich Wilhelm von Oranien und Nassau, die anschließende napoleonische Zeit und eine kurzfristige österreichische Verwaltung während der Freiheitskriege von 1813 bis 1815 konnten der Ursprünglichkeit und Bodenständigkeit der Marbacher Bauern und Hüttner nichts anhaben. Über die folgende Zeit bis in die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wissen die alten Chroniken wenig zu berichten. Die Geschichtsschreiber erzählen erst wieder von notdürftigen Reparaturen am alten Kirchlein - in den Jahren 1890 bis 1893, der damalige Pfarrer Weber konnte aber bei der armen Bevölkerung nicht genug Geld zusammenbringen, um einen dringend notwendigen Neubau zu finanzieren.
Ein reiches Dorf war Marbach nie. Der Boden war schlecht, so dass die Bauern immer auch zusätzliche Verdienstmöglichkeiten suchen mussten. Aus dieser Zeit stammt der Spitzname "Speeketze" für die Marbacher: Die Bewohner sammelten im Wald kienhaltige Holzspäne (Spee) und brachten sie in der Rückentrage (Ketz) auf den Markt nach Fulda. Zeigt er auch die damalige Armut im Dorf, so wird der Name "Speeketz" heute von den Marbachern mit Stolz getragen.
Unter dem energischen Zugriff von Pfarrer Julius Braun konnte dann in den Jahren 1921 bis 1923 die Kirche endlich in ihrer heutigen Form erbaut werden. Pfarrer Braun, ein überaus gestrenger und vielseitiger Mann (er betätigte sich unter anderem als Erfinder und Heilpraktiker), meißelte mit eigener Hand das Glaubensbekenntnis mit erdverwachsenen Symbolen in die Pfeilerkapitelle der Kirche. Es existieren auch noch Zeitdokumente, in denen aufgeschrieben steht, welche Unsummen von Inflationsgeld von der Marbacher Bevölkerung gespendet wurden, um den Kirchenbau finanzieren zu helfen. Ein kleines Wunder, dass in diesen schweren Zeiten das Werk vollendet werden konnte, ein Wunder, an dem unser Schutzpatron St. Aegidius, aber auch unsere Väter und Großväter kräftig mitwirkten. Selbstverständlich stellten unsere Väter auch die neue Kirche unter den Schutz des Heiligen Aegidius, der ihnen als einer der vierzehn Nothelfer in den Alltagsnöten immer nahe gewesen war. In unserem Gotteshaus hängt heute eine holzgeschnitzte Statue des Kirchenpatrons, die 1986 nach einem Modell aus der südfranzösischen Heimat des heiligen Abtes gefertigt wurde.
Von den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts wurde auch unsere Bevölkerung schwer getroffen. Viele Marbacher Burschen und Männer fielen dem schrecklichen Völkermorden beider Kriege zum Opfer. Im zweiten Weltkrieg kamen überdies auch Marbacher bei Bombenangriffen in Fulda ums Leben, und das Elend der Nachkriegsjahre ist auch an unserem Dorf nicht vorübergegangen. Aber im Glauben und Vertrauen auf Gottes Hilfe haben sich die Marbacher nie unterkriegen lassen.
© St. Aegidius, Petersberg-Marbach